Ich bin immer auf der Suche nach einem einfachen System, das sowohl Spieltiefe als auch Regelübersichtlichkeit vereint – zumindest als Spielleiter. Einfach mal eine Runde anbieten, ohne ein 300-seitiges Grundregelwerk studieren zu müssen.
Cairn ist ein Spiel aus der OSR-Ecke. Yochai Gal, der Entwickler, ließ sich nach eigenen Angaben von Into the Odd und Knave inspirieren. Cairn ist definitiv regelleicht und hat den Spielern Spaß gemacht.
Kurz vorweg eine Regelzusammenfassung – und die ist bei Cairn wirklich kurz.
Regeln
- Es gibt drei Attribute: Stärke (alles Körperliche), Geschicklichkeit (Motorik, Akrobatik) und Willenskraft (alles Geistige und Mentale). Diese werden jeweils mit 3W6 ausgewürfelt. Um eine Probe zu bestehen, muss mit einem W20 unter oder gleich dem Attributswert gewürfelt werden.
- Trefferschutzpunkte (TSP) sind eine Art Puffer für Schaden, bevor dieser an die Substanz geht – also an den Stärkewert. Fällt der Stärkewert auf null, ist der Charakter tot.
TSP werden mit 1W6 ausgewürfelt und regenerieren sich durch eine Rast. Attributsschaden hingegen bedarf Heilung in einer sicheren Umgebung und dauert länger – etwa eine Woche in einer Stadt. - Kämpfe laufen rundenbasiert und mit Initiative ab. Das System ist dabei flexibel und anpassbar. Pro Runde hat man eine Bewegungsaktion sowie eine weitere Aktion – diese kann ein Angriff, ein Zauber oder eine zusätzliche Bewegung sein.
- Waffen verursachen automatisch Schaden, ein Trefferwurf entfällt. Kämpft man mit zwei Waffen oder führt zwei Angriffe aus, würfelt man zweimal den Schadenswürfel und nimmt das höhere Ergebnis. Der geringere Angriff eines anderen Gruppenmitglieds oder der Schaden der zweiten Waffe zählt in diesem Fall nicht – es bleibt beim höheren Wert.
- Kritischer Schaden entsteht, wenn der verursachte Schaden (abzüglich der Rüstung) die TSP vollständig übersteigt und weiterer Schaden übrig bleibt. Dieser überschüssige Schaden geht vom Stärkewert ab. Anschließend wird ein Rettungswurf auf Stärke verlangt. Misslingt dieser, ist der Charakter kampfunfähig und kann sich nur noch kriechend in Sicherheit bringen.
Sinken die TSP exakt auf null, kommt es zu einer Verletzung, die ausgewürfelt wird.
Beispiel: Klaus, der Möchtegernkrieger, hat noch 2 TSP und 3 Rüstungspunkte, sein Stärkewert beträgt 12. Ein Goblin greift mit einem Kurzschwert an und verursacht 6 Schaden.
6 Schaden – 3 Rüstung – 2 TSP = 1 Stärkeschaden. Klaus reduziert seinen Stärkewert auf 11 und muss nun mit einem W20 unter diesem Wert würfeln. Das wird mit jedem weiteren Treffer schwieriger.
- Ein Charakter kann maximal einen Rüstungswert von 3 erreichen.
- Es gibt keine Klassen und keine Rassen. Wer einen Elfenkrieger spielen möchte, tut das rein erzählerisch – es gibt keine mechanischen Unterschiede. Wer ein Schwert hat, kann kämpfen, ganz ohne zusätzliche Voraussetzungen; wer ein Zauberbuch besitzt, kann zaubern; wer einen Dietrich mit sich führt, kann Schlösser knacken.
Entscheidend ist das Inventarsystem
Jeder Charakter hat standardmäßig nur 10 Inventarplätze. Jeder Gegenstand – auch eine einzelne Fackel oder ein Zauberbuch – belegt einen dieser Plätze. Ein Zauberbuch enthält jeweils nur einen Zauber und belegt bei Nutzung zusätzlich einen Inventarplatz, bis eine Rast erfolgt.
Kann man nicht ausreichend essen (keine Rationen mehr) oder schlafen (die Rast wird gestört), gerät man in Bedrängnis. In diesem Zustand kann man keine TSP oder Attributspunkte regenerieren. Zudem wird pro Tag in Bedrängnis ein Inventarplatz gestrichen.
Das war im Wesentlichen alles. Es gibt noch ein paar Regeln zu Mietlingen, Gruppenkampf usw., aber auch diese sind leicht verständlich.
Meinung
Ich habe das Spiel in kurzer Zeit viermal geleitet – dreimal ein eigenes Abenteuer und einmal ein vorgegebenes (Das Grabmal des Echsenritters). Dabei ist mir aufgefallen: Als ich mein eigenes Abenteuer vorbereitet habe – wahrlich kein Meisterwerk, sondern nur für den Einstieg gedacht – hatte ich zunächst keine klare Vorstellung davon, wie ein Cairn-Abenteuer konzipiert sein sollte und wie es sich beim Spielen anfühlt.
Also habe ich einen einfachen Dungeon mit ein paar Fallen, Schätzen und Begegnungen entworfen und die Gruppe einfach hineingeschickt. Ich habe dann situativ auf ihre Handlungen reagiert. Heraus kam eine sehr narrative Runde mit wenig Würfeleinsatz. Ganz anders beim Grabmal: Dort wurde viel gewürfelt, die Spieler mussten mehr auf konkrete Herausforderungen reagieren.
Weder das eine noch das andere ist besser. Aber ich kann mit dem System beides gut leiten. Die meisten hatten Spaß und das Leiten war angenehm einfach.
Ein Kritikpunkt, der von mehreren Spielern geäußert wurde: Für regelmäßige Runden oder gar Kampagnen bietet Cairn möglicherweise zu wenig. Das kann ich gut nachvollziehen. Es gibt sicher Gruppen, die monatelang Cairn spielen, und das Spiel hat den Charme früher Rollenspiele – OSR eben. Aber das muss man mögen. Ich persönlich mag Klassen, Rassen und Level. Sie geben mir das Gefühl, dass sich mein Charakter entwickelt und ermöglichen Vergleiche.
In anderen Genres ist mir das egal, aber in der Fantasy will ich als Spieler die Herausforderung, meine Klasse zu meistern.
Im Vergleich gefällt mir Mythic Bastionland – ein Spiel das auch auf Into the Odd basiert, ja eigentlich sogar eine Erweiterung der Spielwelt ist, die von Chris McDowall mit Into the Odd, Electric und Mythic Bastionland geschaffen wurde, aber stärkerer Fokussierung auf taktisches Spiel und Charakterentwicklung – etwas besser. Es ist ausgefeilter, hat vorgegebene Ritter (vergleichbar mit Klassen) und spezielle Mechaniken bringen zusätzliche taktische Tiefe. Beide Systeme sind miteinander kompatibel, sodass man Cairn entsprechend erweitern kann.
Fazit
Für mich ist Cairn ein großartiges System für spontane One-Shots ohne lange Vorbereitung. Ob ich es öfter auf den Tisch bringen werde, hängt davon ab, ob mir Mythic Bastionland auf Dauer nicht besser gefällt.
Unter Spielmaterial befindet sich auch ein tabellarischer Charakterbogen.